Iwan Sergejewitsch Turgenjew [russ. Иван Сергеевич Тургенев]

1857             1874 (r.) pinxit Ilja Repin

Russischer Schriftsteller; Sproß einer alten und begüterten Adelsfamilie, Eigentümer von mehrere tausend Leibeigene; schon als Kind empörte er sich über die willkürlichen (Straf-) Maßnahmen seiner herrischen, von Herrenmenschentum durchdrungenen Mutter, und er schwor, sich für eine menschlichere, von Humanismus geprägte Gesellschaft und die Abschaffung der Leibeigenschaft einzusetzen. 1827 verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Moskau. Er erhielt zunächst häuslichen Unterricht und auf Internaten, bis er ab 1834 an der Universitäten von Moskau und Sankt Petersburg, sowie von 1838 bis 1841 in Berlin studierte. Dort schloß er enge Freundschaft mit Bakunin, der dort Philosophie studierte, besuchte die Vorlesungen Werders, des Nachfolgers G.F. Hegels, und so Hegel Philosophie kennenlernte, sowie Literaturgeschichte und u.a. bei Leopold von Ranke. und Recht bei dem liberalen Rechtshistoriker Eduard Gans hörte. In Berlin, wo er sich “kopfüber in das deutsche Meer” stürzte, kam er auch in Kontakt mit Nikolaj Stankewitsch, der später einen bedeutenden Einfluß auf die Moskauer Intelligetzija ausübte. Turgenjew bereiste aber auch Deutschland, reiste an den Rhein und durchstreife u.a. die “Lieblichkeit“ des Taunus. 1841 kehrte er nach Rußland zurück. Dort erfüllte sich sein Wunsch, einen Lehrstuhl für Philosophie zu erhalten nicht, da Nikolaus I. die Lehrstühle für Philosophie wegen “die Staatsordnung gefährdend“ aufgehoben hatte. Er war kurzeitig als Beamter tätig, entschied sich dann aber, Dichter zu werden. Er trat in den Kreis Wissarion Belinskijs und schloß Freundschaft mit dem “ungestümen Wissarion“. 1847 begleitete er den lungenkranken Freund nach Deutschland (dort, im schlesischen Salzbrunn, verfaßte Belinskij jenen Brief an Nikolaj Gogol, in dem er jenem Verrat an der Sache vorwarf und Duckmäuserei gegenüber den Herrschenden). Ab 1850 konnte sich Turgenjew - jetzt aufgrund einer Erbschaft finanziell unabhängig - ganz seiner schriftstellerischen Arbeit widmen. 1852 erschien Turgenjews Werk Записки охотника (1852, dt. Aufzeichnungen eines Jägers), eine Sammlung von Erzählungen in Ich-Form, das zu einer Anklage gegen die Leibeigenschaft wurde, da er darin drastisch die Zustände in den Herrenhäusern Rußlands schilderte; prompt wurde dieses Werk seitens der Eigentümer der “Seelen“ als “politische Brandstiftung“ denunziert und der Autor durch die zaristische Regierung 1852 auf sein Gut Spasskoje verbannt. Zwar durfte er 1853 nach Sankt Petersburg zurückkehren, blieb aber unter Beobachtung der zaristischen Polizei bis 1855, dem Todesjahr Nikolaus‘ I.. Wie viele Kritiker des Herrschaftsystem in Rußland auch, erwartete Turgenjew nun von dessen Nachfolger Alexander I. Verbesserungen durch eine Revolution “von oben“ und entfernte sich, wie sie auch, von den radikalen, revolutionären Demokraten Tschernyschewskij, Dobroljubow und Nekrassow. 1860 kam es dann zum endgültigen Bruch mit diesen Kräften, die die Bauern aufriefen, ”zum Beil zu greifen“. Da aber hatte er Rußland bereits verlassen1; 1855 hatte er im Ausland seinen Dauerwohnsitz genommen; er hielt sich v.a. wegen seiner Liebe zu der bekannten Opernsängerin Pauline Viardot in Frankreich auf und in Baden-Baden). Er freundete sich mit führenden französischen und deutschen Dichtern an, u.a. mit Gustave Flaubert, Émile Zolá, Prosper Mérimée, Theodor Storm und Gustav Freytag. Er beteiligte sich jedoch weiterhin an der ideologischen Kontroverse in Rußland zwischen den Gruppen innerhalb der russischen Intelligenzija, die sich in Befürworter einer Verwestlichung des Landes nach europäischem Vorbild durch die s.g. Westler und in eine Gruppe von Orthodoxen,den Slawophilen, spaltete, wobei er Partei für die ”Westler” ergriff, was eine scharfe Kontroverse mit Fjodor Dostojewskij zur Folge hatte. Sein Roman Отцы и дети (1862, dt. Väter und Söhne) erregte die Jungend ebenso wie die Reaktion durch die Verwendung des Begriffs “Nihilismus” für das Verhalten der Jugend. Das Attribut eines Nihilisten hatte er dem Helden seines Romans Jewgeni Basarow beigegeben.

Im Mai 1882 schrieb Turgenjew, schon todkrank - er litt an Rückemarkkrebs - an seinen Freund, dem Lyriker Jakow Petrowitsch Polonskij: “Wenn Sie nach Spasskoje2 kommen, grüßen Sie mein Haus, meinen Garten, meine junge Eiche. Grüßen Sie mein Heimatland, das ich wohl nie mehr wiedersehen werde...”. Seine sterblichen Überreste wurden nach Rußland überführt und am 9.10.1883 auf seinen Wunsch in nächster Nähe des Grabes seines Jugendfreundes Wissarion Belinskij in Sankt Petersburg beigesetzt.

Werke u.a.: Ein Monat auf dem Lande (1855), Am Vorabend (1860), Erste Liebe (1860).

       

Turgenjew_ et alii 1856

Obere Reihe (von links): Leo Tolstoi, Dmitri Grigorowitsch; untere Reihe (von links): Iwan Gonscharow, Iwan Turgenjew, Alexander Drudjinin, Alexander Ostrowskij.

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1 Ich konnte einfach nicht mehr mit all dem, was ich haßte, dieselbe Luft atmen und Seite an Seite leben. Dafür fehlte mir wahrscheinlich die erforderliche Ausdauer und Charakterstärke. Ich fühlte die unbedingte Notwendigkeit, mich von meinem Feinde abzusetzen, um ihn von meinem Exil aus noch schärfer angreifen zu können. In meinen Augen hatte dieser Feind eine fest umrissene Gestalt, trug einen allen bekannten Namen: Dieser Feind war die Leibeigenschaft...

2  Auf Spasskoje, dem Gut seiner Mutter, auf dem er seine ersten zehn Lebensjahre verbrachte, hielt sich Turgenjew auch später während vieler Sommer auf.

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Bild: Martina Schulz

Sankt Petersburg, Wolkowo-Friedhof

Johann Gottfried von Herder

1776              1787             ca. 1800

Deutscher Schriftsteller, Philosoph und Theologe; der Sohn eines Kantors und Volksschullehrers war zunächst (1761) Kopist in der Bibliothek beim Diakonus J.S. Trescho, bevor er 1762 ein Studium der Medizin begann, dann jedoch Theologie und Philosophie in Königsberg studierte, wo er wesentlich u.a. durch Kant und Hamann angeregt wurde; 1764 wurde er Lehrer an der Domschule in Riga, und ab 1767 Prediger. 1769 fuhr er mit dem Schiff nach Frankreich (Nantes, Paris), traf dort mit Diderot zusammen, von dort reiste er weiter nach Holland und nach Hamburg, wo er mit Lessing und Matthias Claudius Caroline Flachslandzusammentraf. Bei Johann Heinrich Merck (*1741, †1791) in Darmstadt lernte er 1770 seine spätere Frau Caroline, née Flachsland, kennen, die er 1773 heiratete. In Straßburg, wo er versuchte, ein Augenleiden zu lindern, kam es im September 1770 zu einem Treffen mit Goethe, das für beide von nachhaltiger Wirkung war und der ihn 1776 als Generalsuperintentent nach Weimar vermittelte. In dieser Tätigkeit war er u.a. zuständig für das Schulwesen im Herzogtum, ab 1815 Großherzogtum, Sachsen-Weimar-Eisenach, das er maßgeblich renovierte. 1788 unternahm er mit Anna Amalia, zu deren Freundeskreis er gehörte, eine Italienreise. Die von Herder ausgehenden Denkanstöße sind sowohl für die deutsche als auch die europäische Geistesgeschichte bis heute von weitreichender Bedeutung und Wirkung, besonders in Bezug auf die Sprachphilosophie, die Geschichtsphilosophie, die Literatur- und Kulturgeschichte und die Anthropologie. 1773 gab er die Schrift Von deutscher Art und Kunst heraus, die für die Bewegung des Sturm und Drang (so der 1776 erschienene Titel eines Dramas vom Friedrich Maximilian Klinger) programmatische Bedeutung hatte.

Werke u.a.: Über die neuere Deutsche Litteratur (1767, 3 Bde.), Kritische Wälder (1769, 3 Bde.), Über den Ursprung der Sprache (1772), Von deutscher Art und Kunst (1773), Philosophie der Geschichte der Menschheit (4 Tle., 1784-91), Gott. Einige Gespräche (1787).

                 Edward  (1.& 2. Strophe)

        Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot?
          Edward, Edward!
        Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot,
          Und gehst so schaurig her? - O!
        O ich hab geschlagen meinen Geier tot,
          Mutter, Mutter!
        O ich hab geschlagen meinen Geier tot,
          Und keinen hab ich wie er - O!

        Dein’s Geier Blut ist nicht so rot,
          Edwar, Edward!
        Dein’s Geier Blut ist nicht so rot,
          Mein Sohn, bekenn mich frei - O!
        O ich hab geschlagen mein Rotroß tot,
          Mutter, Mutter!       
        O ich hab geschlagen mein Rotroß tot,
          Und’s war so stolz und treu - O!

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Hans Carl Artmann

 

Österreichischer Schriftsteller; wurde als Mitglied der Wiener Gruppe mit Wiener Dialektgedichten med ana schwoazzn dintn (1958) bekannt; verfaßte zahlreiche Werke in der Tradition barocker österreichischer Sprachartistik (Lyriksammlung, Dramensammlung); übersetzte u.a. Werke von F. Villon.

Werke u.a.: Ein lilienweißer Brief aus Lincolnshire (1969), Die Fahrt zur Insel Nantucket (1969), gedichte von der wollust des dichtens in worte gefaßt, (1989).

Auszeichnungen u.a.: Georg-Büchner-Preis (1997).

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Alexander Roda Roda eigentl. Sándor Friedrich Rosenfeld

 

Österreichischer Satiriker, Humorist und Dramatiker; studierte in Wien Jura und war bis 1907 Offizier im k.u.k. Heer, verlor die Offizierscharge wegen Geschichten, in denen er besonders das Militär aufs Korn nahm; ging 1904 nach Berlin, wo er als Kabarettist große Erfolge feierte. 1912 veröffentlichte er gemeinsam mit Gustav Meyrink die Komödie Der Sanitätsrat. Von 1914 bis 1918 war er Kriegsberichterstatter; nach dem Ende des Ersten Weltkrieges lebte er in Paris, München und Berlin, im März 1938 emigrierte er zunächst in die Schweiz, dann 1940 weiter in die USA. Er verfaßte Anekdoten, Humoresken, Schwänken, satirische Romane und Komödien. Satiriker der Endphase der Donaumonarchie. Roda Roda hatte 1900/01 eine Affaire mit Adele Sandrock.

Werke u.a.: Der Feldherrnhügel (1910).

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Bilder: Günter Strack

Weimar, Stadtkirche (Herderkirche)

Alfred Kerr eigentl. Alfred Kempner (bis 1911)

1907 pinxit Lovis Corinth (Ausschnitt)

Deutscher Schriftsteller und Theaterkritiker; Sohn des Weinhändlers und Fabrikbesitzers Emanuel Kempner; studierte Philosophie und Germanistik zunächst in seiner Heimatstadt und setzte es 1887 in Berlin fort. Ab 1891, noch während des Studiums, das er 1894 mit der Promotion zum Dr. phil. in Halle abschloß, verfaßte er Theaterkritiken, die in verschiedenen Zeitungen erschienen, u.a. in der Vossische Zeitung, der Neue Rundschau und der Breslauer Zeitung. Ab 1900 arbeitete Kerr als Theaterkritiker für die Berliner Zeitung Der Tag. Zwischen 1912 und 1915 war er Mitarbeiter und dann Herausgeber der avantgardistischen Kunstzeitschrift Pan, arbeitete ab 1919 als Theaterkritiker für das Berliner Tageblatt und ab 1928 auch für den Rundfunk. 1933 emigrierte Kerr über Prag, Lugano und Paris nach London, wo er an mehreren Exilzeitungen mitarbeitete und ab 1945 wieder in der Bundesrepublik Deutschland an mehreren Zeitschriften. Er protegierte u.a. Henrik Ibsen und den damals noch jungen Gerhart Hauptmann; skeptisch gegenüber stand er Bert Brecht. Julia Kerr (1920 in Venedig)

Kerr erlitt auf einer Vortragsreise durch Deutschland im Jahre 1948 nach dem Besuch einer Theatervorstellung in Hamburg einen Schlaganfall. Als er sich der Schwere der Schädigung der Gesundheit bewußt wurde, nahm er sich mittels Veronals das Leben.

Aus seiner Ehe mit der in Wiesbaden geborenen Komponistin Julia Weismann (*1898, †1965) gingen zwei Kinder hervor, u.a. die Tochter Judith (*1923, †2019), die u.a. den Roman When Hitler Stole Pink Rabbit (1971, dt. Als Hitler das rosa Kaninchen stahl ) verfaßte.

Werke u.a.: Die Harfe (1917), Ich kam nach England (posthum 1978).

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Bild: W. Burghart

Wien, Feuerhalle Simmering, Urnenhain

Bild: KN (2001)
Bild: Hartmut Riehm (12/2007)

Hamburg, Friedhof Ohlsdorf

Novalis eigentl. Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg

        

Deutscher Dichter; bedeutendster der Jenaer Frühromantiker, entstammte einem pietistischen Elternhaus: sein Vater, Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg, war Gutsbesitzer und Salinendirektor; studierte von 1790 bis 1794 Jura, Mathematik und Philosophie in Jena, Leipzig und Wittenberg, besuchte 1997 Bergakademie in Freiberg, wurde 1799 Salinenassessor und wenig später Amtshauptmann. Mit Friedrich von Schiller, Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel und dessen Bruder und August Wilhelm von Schlegel, Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling und LudwigTieck verband ihn eine enge freundschaftliche Beziehung. Entscheidend beeinflußt wurde Novalis durch den deutschen Idealismus Johann Kaspar Lavaters und Johann Gottfried Herders. Der frühe Tod von Sophie von Kühn mit der er sich, als sie kaum 13 Jahre alt war, ohne Wissen seiner Eltern verlobt hatte, machte ihn so sehr betroffen und verzweifelt, daß er ihr ”nachsterben“ wollte und verstärkte seine mystischen Sophie von Kühn Neigungen Sophie von Kühnund spielte seitdem eine zentrale Rolle in seinem Schaffen. 1798 verlobte er sich mit Julie von Charpentier (*1776, †1811); sie aber heiratete 1804 einen ungarischen Adligen. Ab August 1800 war er lungenkrank, was seine Schaffenskraft stark beeinträchtigte.

Novalis bevorzugte typisch romantische Gattungen. Der für die Romantik prägende Begriff der “Blauen Blume” entstammt dem unvollendeten, bedeutendsten seiner Romane Heinrich von Ofterdingen (1802); in ihm erblickt der träumende Held eine blaue Blume, die er “mit unnennbarer Zärtlichkeit“ betrachtet. Novalis’ Poetik wirkte u.a. bei den französischen Symbolisten nach.

Werke u.a.: Journal (1797), Die Christenheit oder Europa (1799 entstanden, 1826 vollständig herausgegeben), Hymnen an die Nacht (1800), Heinrich von Ofterdingen (erschienen 1802).

     Was wär ich ohne Dich gewesen?
     Was würd’ ich ohne Dich nicht seyn?
     Zu Furcht und Aengsten auserlesen,
     Ständ’ ich in weiter Welt allein.
     Nichts wüßt’ ich sicher, was ich liebte,
     Die Zukunft wär’ ein dunkler Schlund;
     Und wenn mein Herz sich tief betrübte,
     Wem tät’ ich meine Sorge kund?
[Novalis: Geistliche Liebe, Auszug]

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Weißenfels, Alter Friedhof (Stadtpark)

Wien, Feuerhalle Simmering, Urnenhain

06/2006)

Richard Billinger

 

 

Österreichischer Lyriker, Erzähler und Dramatiker; drittes und jüngstes Kind von Kaufleuten;

Sein Werk - von barocker Sprachkraft aus der Volkstradition - kennzeichnet den Wandel vom naturalistischen Volksstück zur mythisch-religiösen Darstellung dämonischer Naturkräfte. Es ist stark beeinflußt durch Billingers Heimat im Innviertel.

Werke u.a.: Das Perchtenspiel (1928), Rosse (1931), Der Gigant (1937; verfilmt Goldene Stadt), Bauernpassion (1960).

Auszeichnungen u.a.: Kleist-Preis zusammen mit Else Lasker-Schüler (1932).

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Hartkirchen (Bezirk Eferding im Hausruckviertel, Oberösterreich), Friedhof

Peter de Mendelssohn  Pseudonym Carl Johann Leuchtenberg

1945 no_copyright

 

Deutsch-britischer Schriftsteller, Essayist und Historiker; Sohn des Goldschmieds Georg Mendelssohn; brach das Dtudium des der Anglistik und der Staatswissenschaften in Berlin aus Geldmangel nach zwei Semestern ab, ging als Redaktionsvolontär zum Berliner Tageblatt, und war 1927/28 in London als Hilfskorrespondent dieser Zeitung in London, kehrte 1928 nach Berlin zurück, wo er bis 1929 als Redakteur der Nachrichtenagentur „United Press“ arbeitete, bevor er im selben Jahr als freier Schriftsteller zunächst nach Paris ging und dort den Roman Fertig mit Berlin (1930) verfaßte. 1933 emigrierte er zunächst nach Wien, dann wegen der zunehmenden antisemitischen Stimmung in Österreich nach Paris und schließlich 1936 von dort aus gemeinsam mit der Schriftstellerin Hilde Spiel1, die er im selben Jahr geheiratet hatte, nach England, wo er 1941 die britische Staatsbürgerschaft erwarb und während des Zweiten Weltkrieges im britischen Staatsdienst arbeitet. Nach dem Ende des Krieges war er Pressechef bei der Britischen Kontrollkommission in Düsseldorf. Er berichtete von den Nürnberger Prozessen und arbeitete maßgeblich am Aufbau eines demokratischen Pressewesens in der britischen Besatzungszone mit; so war er an der Gründung von Zeitungen wie Der Tagesspiegel und Die Welt beteiligt. 1970 übersiedelte Peter de Mendelssohn wieder in seine Geburtsstadt München.

de Mendelssohn, der 1975 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wurde, verfaßte zeit- und literaturkritischen Essays, politisch-dokumentarische Arbeiten, sowie biographische Werke, u.a. über den britischen Politiker Winston Churchill und den Literaten und Nobelpreisträger Thomas Mann, außerdem Monographien und eine Reihe von Novellen. de Mendelssohn übertrug auch Werke aus dem Englischen und Französischen.

Werke u.a.: Paris über mir (1931), Wolkenstein oder die ganze Welt (1935), Das Gewissen und die Macht (1971)

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1  1970 erfolgte die Scheidung von Hilde Spiel, mit der er den Sohn Felix de Mendelssohn, der als Psychoanalytiker in Wien und Berlin lebte, hatte.

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Bilder: Manuel Schmidt (07/2022)

München, Bogenhausener Friedhof

Urs Widmer

 

 

Schweizer Schriftsteller und Übersetzer; Sohn des Übersetzers, Literaturkritikers und Gymnasiallehrers Walter Widmer; studierte Germanistik, Romanistik und Geschichte an den Universitäten von Basel, Montpellier und Paris.

1966 wurde er in Basel bei dem Germanisten Heinz Rupp mit der Arbeit 1945 oder Die ”neue Sprache“. Studien zur Prosa der “jungen Generation“ promoviert, bevor er als Verlagslektor zunächst beim Walter Verlag in Olten tätig war und , dann nach Deutschland zum Suhrkamp Verlag wechselte. Nachdem er schon bald den Verlag verlassen hatte, lebte er von 1967 bis 1984 als freier Schriftsteller weiterhin in der Mainmetropole, schrieb Kritiken für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und lehrte als Dozent für neuere deutsche Literatur an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 1968 debütierte Widmer als Schriftsteller mit der Erzählung Alois. 1969 gehörte er zu den Mitbegründern des Verlags der Autoren, bei dem seine Theaterstücke noch heute publiziert werden.

Widmer verfaßte Erzählungen und Romane, die durch eine Vorliebe für überraschende Wendungen sowie für Fantastisch-Surreales und Unheimlich-Hintergründiges geprägt sind; mit seiner eigenen Herkunft setzt er sich in Der Geliebte der Mutter (2000) und Das Buch des Vaters (2004) auseinander; Widmer verfaßte auch Essays, Kritiken und mit dem trivialen Genre spielende Stücke wie Frölicher - ein Fest (1990) sowie Hörspiele. Außerdem übersetzte er eine Vielzahl an Werken französischer und englischsprachiger Autoren.

Urs Widmer war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Bensheim, der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg und Mitglied im Grazer Forum Stadtpark.

Werke u.a.: Schweizer Geschichten (1975), Die gelben Männer (1976), Das enge Land (1981), Indianersommer (1985), Der Kongreß der Paläolepidopterologen (1989), Der blaue Siphon (1992), Liebesbrief für Mary (1993), Im Kongo (1996).

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Bild:  RomanDeckert (05/2022) Wikipedia.de
Bild:  RomanDeckert (05/2022) Wikipedia.de

Zürich, Friedhof Enzenbühl (CH)

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Siegfried von Vegesack

 

 

Deutscher Schriftsteller und Übersetzer; neuntes Kind des Ordnungsrichters Otto Gotthard von Vegesack und dessen Frau Janet Constance Clementine, née von Campenhausen auf; besuchte von 1901 bis 1907 das Stadtgymnasium in Rig und studierte anschließend zunächst von 1907 bis 1912 Geschichte in Dorpa (heute Tartu, Estland) danach von 1912 bis 1914 in Heidelberg, Berlin und München, wobei er parallel als Journalist tätig war. 1916 bekam er eine Anstellung in der Pressestelle des Auswärtigen Amts in Berlin, zog dann aber 1917 aufgrund einer Erkrankung mit seiner Familie (er hatte während seines Studiums 1914 in München die spätere Schriftstellerin Clara Nordström (*1886, †1962) kennengelernt, mit der er sich am 18.1.1914 verlobte und die er im Februar 1915 in Stockholm heiratete; in Berlin kam auch ihre Tochter Isabet zur Welt) auf einen Bauernhof bei Dingolfing und später nach Großwalding bei Deggendorf. 1918 bezogen sie das verlassenen Wirtschaftsgebäude der Burgruine Weißenstein und renovierten den Turm. Die Renovierungsarbeiten verschlangen so viel Geld, daß von Vegesack diesen Wohnturm “Fressendes Haus“ nannte und auch 1932 ein Buch mit gleichem Namen verfaßte. 1929 verpachtete die Familie den Wohnturm und zog in das Tessin um.

Nach der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten wurde von Vegesack 1933 in “Schutzhaft” genommen, da er die Hakenkreuzfahne von der Burgruine entfernt hatte. Daraufhin emigrierte er nach Schweden, verbrachte die Jahre 1936 bis 1938 in Südamerika, reiste aber auch nach Jugoslawien sowie in das Baltikum, bevor er schließlich wieder nach Deutschland zurückkehrte.

Siegfried von Vegesack, der auch als Übersetzer hauptsächlich aus dem Russischen (Gogol, Leskow, Turgenjew) arbeitete und 1956 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wurde, schuf eine Reihe von Romanen, Erzählungen und Reisebeschreibungen; einen Namen machte er sich mit seinem Werke Die baltische Tragödie, eine Roman-Trilogie aus dem Jahre 1935.

Nach seiner Scheidung von Clara im Jahre 1935 heiratete er 1940 Gabriele Ebermayer (*1903, 1972), mit der er einen Sohn hatte. In den Kriegsjahren 1941 bis 1944 stand er als Dolmetscher der Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion im Einsatz.

Werke u.a.: Liebe am laufenden Band (1929), Herren ohne Heer (1934), Spitzpudeldachs. Tiergeschichten aus dem Bayerischen Wald (1936), Unter fremden Sternen. Eine Reise nach Südamerika (1938), Die gestohlene Seele. Eine Erzählung aus Chile (1942), Das Weltgericht von Pisa. Eine Legende von der Macht des Bösen, der Schwäche und Schuld des Menschen und der allerbarmenden Liebe des Herrn (1947), Herr Bo fährt um die Welt. Ein Kinderbuch (1948), Südamerikanisches Mosaik. Reisenotizen aus Brasilien, Argentinien, Paraguay, Chile und Peru. (1964), Die Überfahrt (1967).

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Bilder: Ralf Mayer (09/2022)

Regen OT Weißenstein (Ldkrs. Niederbayern), In einem Waldstück in der Nähe des “Fressenden Hauses”

Hinweis: Siegfried von Vegesack wurde auf eigenen Wunsch an der Stelle, an der das “Totenbrett” steht, mit seinen Hunden begraben.

Bilder: Heinz Knisch (03/2022)
Schriftsteller XXV

Omnibus salutem!